Von 2016 bis 2020
Als zentraler Tatort der NS-„Euthanasie“ auf dem Gelände der ehemaligen Heilerziehungsanstalt Kalmenhofs gilt das Krankenhaus oberhalb der eigentlichen Einrichtung gelegen. Hinter dem Gebäude befindet sich seit 1987 ein Mahnmal auf einer Fläche, die als Kriegsgräberstätte ausgewiesen ist, weil sich hier der 1942 angelegte Anstaltsfriedhof befinden soll, auf dem über 350 der im Kalmenhof-Krankenhaus ermordeten Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen beerdigt sein sollen.
Die Einrichtung Kalmenhof gehört heute zur Vitos Teilhabe gGmbH. Der LWV Hessen betreibt seine Kliniken als Tochtergesellschaften unter dem Dach einer Holding, der Vitos GmbH, deren Alleingesellschafter er ist. Anders als die übrigen Gebäude des Kalmenhofs gehört das Krankenhaus jedoch der Vitos Rheingau gGmbH. Das Haus steht seit 2007 leer und verfällt zusehends.
Als der Eigentümer 2016 eine Anzeige in ein Online-Immobilienportal setzte und „dieses wunderschöne Objekt mit seinen vielen Reizen“, diesen „letzten Rohdiamanten in Idstein“ zum Kauf anbot, erhoben sich Proteste. Sie führten zur Einsetzung einer Kommission, in der Vertreter der beiden Vitos-Gesellschaften, der Stadt Idstein und der Zivilgesellschaft vertreten sind. Nach erheblichen Differenzen wurden im Herbst 2017 schließlich zwei externe Wissenschaftler beauftragt – mein Kollege und ich. Wir waren aufgefordert zu klären, welche Bereiche des Krankenhauses in die Tatabläufe einbezogen waren und ob außerhalb der Kriegsgräberstätte weitere Gräber mit Mordopfern liegen. Das von Vitos Rheingau finanzierte Forschungsvorhaben wurde vom Leiter der vom LWV betriebenen Gedenkstätte Hadamar vergeben.
Der Forschungsbericht wurde im Sommer 2018 vorgelegt. Das Krankenhaus, zu dem auch ein Nebengebäude gehört (die sog. Leichenhalle), wird im Forschungsbericht insgesamt als Tatort qualifiziert. Die Existenz weiterer Grabfelder neben der bestehenden Kriegsgräberstätte auf dem Hang hinter dem Krankenhaus wird als sehr wahrscheinlich bezeichnet. Vitos Rheingau hat den Bericht online gestellt, allerdings ohne Dokumentenanhang. Hier der Link zu Teil 1:
Hier der Link zu Teil 2:
Nach eingehender Diskussion des Forschungsberichts (in der Kommission, beim LWV in Kassel und bei der Stadt Idstein) wurde im Jahr darauf (2019) eine dem „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.“ nahestehende Firma beauftragt, Georadar-Untersuchungen auf den „Verdachtsflächen“ vorzunehmen. Mit dem Verfahren, das das Echo hochfrequenter elektromagnetischer Signale aufzeichnet, können Bodenanomalien festgestellt werden. Auf diese Weise sollten weitere Hinweise gewonnen werden, wo mögliche bislang nicht gekennzeichnete Grabstätten liegen. Die Messdaten bestätigten im Wesentlichen die Forschungsergebnisse, denn sie wiesen Anomalien auf zwei Flächen oberhalb der Kriegsgräberstätte aus. Eine der Flächen befindet sich in einem der am Hang entlang 1952 zugeschnittenen Privatgrundstücke. Die andere Fläche – ebenfalls (seit 2014) in Privatbesitz – befindet sich auf einer Wiese in Verlängerung eines oberhalb der bestehenden Kriegsgräberstätte 1964 errichteten Gebäudes.
Im Sommer dieses Jahres (2020) wurden am Hang Bodenöffnungen vorgenommen. Unter Aufsicht des Landesamts für Denkmalpflege und in Abstimmung mit dem Eigentümer sowie der Stadt Idstein führte der „Volksbund“ Grabungen durch. Am Ende des dritten Tages wurde in einer improvisierten Zusammenkunft vor Ort gegenüber der Presse und einigen Vertretern der Kommission mitgeteilt, dass bei den Grabungen keine Gräber gefunden wurden. Parallel seien Grabungen an der bekannten Kriegsgräberstätte durchgeführt worden, um die Begrenzung dieses Grabfelds nach Süden festzustellen und um Proben für biochemische Untersuchungen zu entnehmen.
Ein schriftlicher Bericht über die Grabungen mit der genauen Angabe der Grabstellen wurde bislang (September 2020) ebenso wenig vorgelegt wie das Resultat der Untersuchungen. Im Oktober, so hieß es, solle an einer Stelle, an der zunächst ein Gebüsch gerodet werden muss, eine weitere Grabung vorgenommen werden.
Weiter ungeklärt ist, was mit dem Krankenhausgebäude geschehen soll. Ein Verkauf wird derzeit nicht mehr erwogen. Eine lokale Initiative möchte dort einen Erinnerungsort einrichten, stößt aber beim Eigentümer auf wenig Gegenliebe.