Unter dem Titel „Peter Radtke ist gestorben“ heißt es auf tageschau.de: „Er litt ein Leben lang an der Glasknochenkrankheit und war ein leidenschaftlicher Kämpfer für Inklusion in Kunst und Gesellschaft.“ Peter Radtkes Äußerungen in einer Vielzahl von Interviews quergelesen, stellt sich die Frage: Wirklich, litt er? Und wenn, dann daran?
All diese Leute: Ihr Erfolg ist nicht nur bewundernswert – wie bei anderen auch, ihr Körper ist nicht nur unverhandelbare Bedingung – wie üblich. Immer wird etws bewiesen durch die Kombination dieses Erfolgs mit diesem Körper.
Wer Michel Petrucciani oder Thomas Quasthoff anführt – weltberühmter Jazz-Pianist der eine, virtuoser Opernsänger und Klassikinterpret der andere –, um zu belegen, von welch großem Nutzen Menschen mit schweren Behinderungen für „uns alle“ sind, hat die Sache, für die er zu kämpfen vorgibt, schon verloren. Hat das Tor schon weit aufgemacht für eine Anwendung des Nutzenkalküls auf Menschen mit Einschränkungen. Was er annahm – dass die Sache vom Tisch ist, weil gezeigt werden kann, dass auch Behinderte Großes leisten –, ist nicht die Folgerung. Vielmehr erkennen die Zuhörer, dass die Kategorie des Nutzens unangefochten ist und auch das Gegenüber sie als leitend bereit ist anzuerkennen. Und so bleibt einzig die Erwartung, dass ein diesbezüglicher Filter fein einzustellen wäre. Damit nicht die erwiesenermaßen Tüchtigen, Genies gar, in die Problemkohorte fallen
Wer also gegen den latent tödlichen Rechtfertigungsdruck angehen will, der auf jenen lastet, die der Assistenz bedürfen und als schwer behindert gelten, hat nur die Möglichkeit, vom denkbar einfachsten Punkt des Universalismus aus, die Debatte für beendet zu erklären: Es gibt nichts zu filtern, es gilt zu organisieren, was ein jeder, eine jede braucht, um ein gutes Leben zu haben. Ob das, was dann möglich ist, was der Andere vermag oder nicht vermag, singt, röchelt oder denkt für die Gesellschaft Vorteile birgt, ob es vielleicht eine Quelle der Erkenntnis, der Freude oder gar der Herzensbildung sein kann, ist eine Frage, die vielleicht die Beteiligten umtreibt, darüber hinaus aber irrelevant ist: kein Kriterium für garnichts.
Das ist eine der Erkenntnisse des bürgerlichen Zeitalters, die es zu retten gilt: Der Mensch ist Zweck an sich selbst und muss nicht zweckdienlich sein. Die Notwendigkeit, eine solche Maxime zu betonen, zeigt an, dass sie offenkundig an normativer Kraft verloren hat (wenn sie sie jemals besaß). Zu erkunden wären die erodierenden Kräfte.