Im März 2020 wurde vom Verein „Leben und Arbeiten in Gallus und Griesheim“ eine kleine Broschüre über das Konzentrationslager in den Adlerwerken in Frankfurt am Main aufgelegt. Im südöstlichen Gebäudeflügel an der Kleyerstraße wurde Ende August 1944 ein Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof eingerichtet, das den Decknamen Katzbach erhielt.

In der Broschüre wird nur beiläufig erwähnt, dass die Adlerwerke bereits zuvor in großer Zahl Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen einsetzten. Aus diesem Kreis wurden – außerhalb des KZ-Kontextes – mehrere Personen in Hadamar ermordet. In der Literatur sind zehn Namen von Zwangsarbeitern der Adler-Werke angegeben, die 1944 und 1945 in Hadamar starben: Alexej Sopow, Wasili Mitin, Ewgenij Gorbatscheff, Piotr Siwko, Stanislaw Matiasch, Iwan Malzew, Iwan Grjadunow, Jakow Pogossow, W(l)adimir Taratynkin und Paul Histoj (vgl. Ernst Kaiser, Michael Knorn: „Wir lebten und schliefen zwischen den Toten“. Rüstungsproduktion, Zwangsarbeit und Vernichtung in den Frankfurter Adlerwerken. Frankfurt/Main, S. 111, FN 179). Die Einrichtung eines KZ-Außenlagers in den letzten Kriegsmonaten in Frankfurt ist von erheblicher Bedeutung und fordert eine erinnerungspolitische Repräsentation. Jene, die als Zwangsarbeiter*innen bei Adler der nazistischen Vernichtungspolitik zum Opfer fielen, sollten darüber jedoch nicht in Vergessenheit geraten.

Die Sterbefälle wurden durch Einträge in der Opferdatenbank der Gedenkstätte Hadamar für neun der genannten Personen bestätigt. Lediglich Paul Histoj ist dort nicht verzeichnet. Nur für zwei der neun Personen existiert noch eine Patientenakte im Archiv der Gedenkstätte: Alexej Sopow und Wasili Mitin. Bei beiden ist als Arbeitseinsatzort „Lager Adlerwerke“ vermerkt. Bei den übrigen sieben Personen finden sich am Sterbeort Hadamar heute keine Hinweise auf die Adler-Werke. Bei vier der sieben Zwangsarbeiter ist jedoch in der Opferdatenbank als Arbeitseinsatzort Frankfurt vermerkt. Im Umkehrschluss heißt das, dass der Beleg (bei Kaiser/Knorn) für die vorausgehende Zwangsarbeit bei der Firma Adler für diese Personen aus anderen Quellen stammt.

Da davon ausgegangen werden muss, dass polnische und sowjetische/russische Zwangsarbeiter*innen ab dem 28. Juli 1944 am Tag der Ankunft in Hadamar ermordet wurden, sind einige der seinerzeit übermittelten und bei Kaiser/Knorn angegebenen Sterbedaten falsch. (Zu den Umständen der Falschbeurkundung der Sterbedaten in Hadamar und ihrer nunmehrigen Korrektur, vgl. den Text „Die Sterbedaten der in Hadamar ermordeten Zwangsarbeiter und Zwnagsarbeiterinnen“.) Das trifft bei den genannten Personen auf alle zu, außer auf Sopow und Mitin, die beide vor dem 28. Juli 1944 nach Hadamar kamen.

Hier die korrekten Daten (in Klammern die damals falsch beurkundeten Sterbedaten), hinsichtlich der Namensschreibweise bestehen Unsicherheiten:

Alexej Sopow             23.03.1928 – 22.05.1944

Wasili Mitin                22.11.1916 – 23.05.1944

Ewgenij Gorbatscheff 21.11.1924 – 04.08.1944 (nicht: 13.10.1944)

Piotr Siwko                  02.01.1924 – 04.08.1944 (nicht: 06.11.1944)

Stanislaw Matiasch    1925 – 04.08.1944 (nicht: 11.09.1944)

Iwan Malzew              15.01.1914 – 13.10.1944 (nicht: 29.01.1945)

Iwan Grjadunow        03.11.1927 – 20.12.1944 (nicht: 08.03.1945)

Jakow Pogossow        24.12.1918 – 26.01.1945 (nicht: 13.03.1945)

W(l)adimir Taratynkin (abweichend: Targugatin) 24.08.1924 – 26.01.1945 (nicht: 15.03.1945)

Die Einrichtung eines KZ-Außenlagers in den letzten Kriegsmonaten in Frankfurt ist von erheblicher Bedeutung und fordert eine erinnerungspolitische Repräsentation. Jene, die als Zwangsarbeiter*innen bei Adler der nazistischen Vernichtungspolitik zum Opfer fielen, sollten darüber jedoch nicht in Vergessenheit geraten.

Zum Kontext der Verlegungen nach Hadamar

Die Gauarbeitsämter Kurhessen und Rhein-Main richteten 1942 auf Anordnung des Reichsarbeitsministers Durchgangs- und Sammellager für erkrankte Zwangsarbeiter*innen ein: Die Lager Pfaffenwald (nahe Bad Hersfeld, südlich der Asbachtalbrücke) und Friedewald wurden vom Arbeitsamt Hersfeld verwaltet. Vom ärztlichen Dienst der regionalen Arbeitsämter wurden Zwangsarbeiter*innen, die als nicht mehr verwendbar galten, dorthin überführt.

Das Landesarbeitsamt bzw. Gauarbeitsamt Rhein/Main in der Gartenstraße 140 in Frankfurt unterhielt überdies in Kelsterbach, westlich von Frankfurt, ein Durchgangslager (vgl. Ursula Krause-Schmitt, Jutta von Freyberg: Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 – 1945. Hessen I, Regierungsbezirk Darmstadt. Hrsgg. v. Studienkreis Dt. Widerstand. Frankfurt 1995, S. 71). Schwangere „Ostarbeiterinnen“ wurden zur Entbindung nach Kelsterbach oder Pfaffenwald geschickt. Nach der Geburt mussten sie an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, die Säuglinge blieben in den Lagern, wo sie häufig aufgrund unzureichender Ernährung und Pflege starben (vgl. ebd., S. 72).

Die wachsende Zahl erschöpfter und kranker Zwangsarbeiter*innen in häufig unzureichenden Unterkünften stellte Ende 1943 für die Verantwortlichen ein Problem dar, denn dies brachte auch vermehrt Tbc-Erkrankungen mit sich und diese wiederum eine hohe Ansteckungsgefahr. Im Frühjahr 1944 fiel hinsichtlich des Umgangs mit erkrankten, nicht mehr arbeitsfähigen Zwangsarbeiter*innen eine Entscheidung. Die Gauleitung, das Landes-/Gauarbeitsamt und der Bezirksverband Nassau als Träger der Anstalt Hadamar verständigten sich darauf, kranke Zwangsarbeiter*innen in großer Zahl nach Hadamar zu überführen, um die beiden Lager Pfaffenwald und Friedewald zu „entlasten“. Von Hersfeld aus gingen Transporte nach Hadamar und die lokalen und regionalen Arbeitsämter wurden aufgefordert, „nicht mehr einsatzfähige Ostarbeiter“ direkt nach Hadamar zu überstellen. Diese Initiative im Frühsommer 1944 ging einer Anweisung des Reichsinnenministeriums voraus, die erst im September 1944 die Einrichtung von „Sammelstellen für unheilbar geisteskranke Ostarbeiter und Polen“ verfügte. In der Verfügung wird auf die Abrechnung durch die „Zentralverrechnungsstelle“ verwiesen. Dies verdeutlicht, dass die Organisationsstruktur der NS-„Euthanasie“ genutzt wurde, wie sie in den Jahren zuvor, insbesondere im Rahmen der „Aktion T4“ geschaffen wurde.

Nach der Wiedereröffnung der Anstalt Hadamar im August 1942 wurden von Oktober 1942 bis Frühjahr 1944 nur unsystematisch und in verhältnismäßig geringer Zahl Zwangsarbeiter*innen nach Hadamar gebracht. Zumeist waren sie in Psychiatrien gelandet und hatten dort unklare Diagnosen erhalten, was oftmals an Verständigungsschwierigkeiten lag. Die Verhältnisse änderten sich im Juni 1944: Zunächst kamen einige kleine Transporte, vorwiegend aus Süddeutschland und dem Elsass. Mit dem 28. Juli 1944 wurden kranke Zwangsarbeiter*innen bis Kriegsende zur größten Opfergruppe in Hadamar. Dabei wurden die internen Abläufe in der Anstalt verändert: Zuvor waren die neu aufgenommenen Patient*innen bis auf wenige, die zur Arbeit selektiert wurden, im Laufe der nächsten Tage und Wochen ermordet worden. Im Unterschied zu dieser Praxis wurden die kranken Zwangsarbeiter*innen am Tag der Ankunft in Hadamar ermordet. Seitens der Anstaltsverwaltung wurde als Sterbedatum jedoch ein oft Wochen, manchmal Monate später liegendes Datum angegeben, um von den Kostenträgern zusätzlich Pflegegelder einzustreichen, was sich zu hohen Summen addierte.

Noch in anderer Hinsicht stellte die Entwicklung für Hadamar einen Einschnitt dar: War die Anstalt seit jeher für Patient*innen mit psychiatrischen Diagnosen zuständig – was auch immer im Einzelnen davon zu halten war –, so akzeptierte die Anstaltsleitung nun, dass in großer Zahl Patient*innen mit somatischen Diagnosen nach Hadamar gebracht werden. Die letzten größeren Transporte mit Zwangsarbeiter*innen kamen am 1. März (aus Hersfeld) und am 2. März 1945. Es folgten noch Einzeltransporte am 4., 6., 7., 9., 12., 13. und 18. März 1945. In diesen Wochen kamen fast ausschließlich Zwangsarbeiter*innen nach Hadamar – insgesamt 37 Personen im März 1945. Keine von ihnen hat überlebt. Am 26. März wurde Hadamar befreit.

Fazit

Die Ressourcen der NS-„Euthanasie“ in Hadamar dienten zur Beseitigung jener Menschen, die im Laufe des verloren gehenden Krieges als überflüssig und störend angesehen wurden. In der Perspektive der Naziideologie bot sich der Ort daher für die Ermordung kranker, nicht mehr arbeitsfähiger „Ostarbeiter“ an – eine Entscheidung, die zugleich von der rassebiologischen Weltanschauung geleitet war.

Wie in anderen Kontexten brauchte es auch hier Antreiber. Die ideologischen Prämissen vollzogen sich nicht von selbst: Gauleiter Jakob Sprenger, Gauarbeitsamtsleiter Ernst Kretschmann, der Leiter des medizinischen Dienstes des Gauarbeitsamtes Hans Welker, der Referent des Bezirksverbands Nassau, Fritz Bernotat. In Hadamar war es maßgeblich der Verwaltungsleiter der Anstalt, Alfons Klein, der die Maßnahmen organisatorisch umsetzte. Er wurde wegen der Ermordung der nichtdeutschen Patient*innen durch ein amerikanisches Militärgericht im Oktober 1945 zur Rechenschaft gezogen und im März 1946 in Bruchsal hingerichtet. Gauleiter Sprenger suizidierte sich am 7. Mai 1945. Fritz Bernotat konnte erfolgreich in Neuhof bei Fulda abtauchen und starb dort unbehelligt 1953. Gegen Kretschmann und Welcker wurde bereits im Sommer 1945 von deutschen Behörden ermittelt. Eine in den letzten Kriegstagen systematisch betriebene Aktenvernichtung im Amt im Verbund mit einer gewisse Blauäugigkeit der Ermittlungsbehörden ließ beide straffrei ausgehen.

Im Ermittlungsbericht der Kripo Frankfurt vom 19. Juni 1945 heißt es zu den Beträgen, die der Bezirksverband als Träger der Anstalt Hadamar für die angeblich dort untergebrachten Zwangsarbeiter*innen einstrich: „Insgesamt sind für die Monate Januar und Februar [1945] für Pflege 14.955.– RM und für Bestattungskosten 5.300.– RM berechnet.“ (Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 461, Nr. 32061, Bd. 21, Bl. 74) Noch während der polizeilichen Ermittlungen lief beim Landesarbeitsamt Frankfurt im Juni 1945 die Abrechnung der Anstalt Hadamar für den Monat März ein. Ungeniert kassierte man auch nach Kriegsende für eine „Pflege“, die nicht stattgefunden hatte, weil die entsprechenden Personen am Tag der Ankunft ermordet worden waren, und für „Bestattungen“, die darin bestanden, den nackten Leichnam mit anderen in eine tiefe Grube zu werfen.

Erneut zeigt sich, dass nationalsozialistische Politik mehr ist als von Hemmnissen in der Verwertung menschlicher Arbeitskraft befreite kapitalistische Rationalität (samt einer sie begleitenden antisemitischen bzw. rassistischen Weltsicht). Das NS-Zwangsarbeitsregime hätte sich gegen Kriegsende mit dem Sterbenlassen vieler Personen an elenden Orten wie Pfaffenwald oder Kelsterbach begnügen können. Aber nein: Man hatte in den Jahren zuvor eine Vernichtungsordnung etabliert, Hadamar war ein verstetigtes Angebot für die End-Lösung von Problemen im niedergehenden nazistischen Staat. Mitten im Deutschen Reich bot der Bezirksverband Hessen-Nassau die Aufnahme einer fast unbegrenzten Zahl kranker Zwangsarbeiter*innen, das heißt aus Nazi-Perspektive: überflüssig gewordener Personen an, vorausgesetzt man traf einige Absprachen. Im Grunde bestand dieses Angebot bis zum letzten Tag des Regimes.